Albert Schweitzer

 

 

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1) Albert Schweitzer

(1875-1965)

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Informationen über sein Leben und Werk

 

 

 
Albert Schweitzer

Albert Schweitzer

Ein freier Mensch!

Ich will unter keinen Umständen ein Allerweltsmensch sein.
Ich habe ein Recht darauf, aus dem Rahmen zu fallen -
wenn ich es kann. Ich wünsche mir Chancen, nicht Sicherheiten.
Ich will kein ausgeschaltener Bürger sein, gedemütigt und abgestumpft,
weil der Staat für mich sorgt. Ich will dem Risiko begegnen,
mich nach etwas sehnen und es verwirklichen, Schiffbruch erleiden
und Erfolg haben. Ich lehne es ab, mir den eigenen Antrieb
mit einem Trinkgeld abkaufen zu lassen.

Lieber will ich den Schwierigkeiten des Lebens entgegentreten,
als ein gesichertes Dasein führen,
lieber die gespannte Erregung des eigenen Erfolgs,
als dumpfe Ruhe Utopiens.
Ich will weder meine Freiheit gegen Wohltaten hergeben,
noch meine Menschenwürde gegen milde Gaben.
Ich habe gelernt, selbst für mich zu denken und zu handeln,
der Welt gerade ins Gesicht zu sehen und zu bekennen, dies ist mein Werk.
Das alles ist gemeint, wenn wir sagen: Ich bin ein freier Mensch.

Albert Schweitzer

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«Mein Wort an die Menschen»

Die nachfolgenden Gedanken entsprechen dem Text einer Langspielplatte, welche die Stimme des 89jährigen Urwalddoktors wiedergibt. Wir verdanken die Idee, die Initiative und Durchführung dieser wertvollen Bandaufnahme dem deutschen Arzt und Psychiater Dr. med. Christoph Staewen. Er schreibt über die Entstehung: «Wir mussten mit der Aufnahme einige Tage warten, weil Dr. Schweitzer zu müde und seine Stimme zu schwach war. Schliesslich aber - weniger als 1 Jahr vor seinem Tod - war der Abend gekommen, an dem er sich kräftig genug fühlte, zu sprechen. Während wir, nach der Abendandacht, im Zimmer von Dr. Schweitzer warteten, bis die Geräusche ringsum verebbten, las der Docteur den Text mehrfach durch und änderte noch einige wenige Worte. Dann sprach er den Text beinahe ohne Stocken... Währenddessen drangen von draussen nur die Geräusche des Urwalds herein, aber sie waren an jenem Tage glücklicherweise leiser als sonst. Mathilde Kottmann, die einzige Zeugin dieser Aufnahme, stand bewegungslos in einem Winkel... Wir waren beide ergriffen von der geheimen Feierlichkeit dieser technisch-prosaischen halben Stunde, in der der grosse alte Mann der Menschheit sein Vermächtnis sprach.»

Natürlich räume ich auch die Möglichkeit ein, die Orginalrede anzuhören:

- Bitte einfach auf die folgenden Links klicken: Rede Teil 1 , Rede Teil 2

- oder hier downloaden: mp3

???Ich rufe die Menschheit auf zur Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben. Diese Ethik macht keinen Unterschied zwischen wertvollerem und weniger wertvollem, höherem und niederem Leben. Sie lehnt eine solche Unterscheidung ab. Denn der Versuch, allgemeingültige Wertunterschiede zwischen den Lebewesen anzunehmen, läuft im Grunde darauf hinaus, sie danach zu beurteilen, ob sie uns Menschen nach unserem Empfinden näher oder ferner zu stehen scheinen. Das aber ist ein ganz subjektiver Massstab. Wer von uns weiss denn, welche Bedeutung das andere Lebewesen an sich und im Weltganzen hat? Die Konsequenz dieser Unterscheidung ist dann die Ansicht, dass es wertloses Leben gebe, dessen Vernichtung oder Beeinträchtigung erlaubt sei. Je nach den Umständen werden dann unter wertlosem Leben Insekten oder primitive Völker verstanden.

Die unmittelbare Tatsache im Bewusstsein des Menschen lautet: ,Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.' Diese allgemeine Bejahung des Lebens ist eine geistige Tat, in der der Mensch aufhört dahinzuleben, in der er vielmehr anfängt, sich seinem Leben mit Ehrfurcht hinzugeben, um ihm seinen wahren Wert zu geben. Der auf diese Weise denkend gewordene Mensch erlebt zugleich die Notwendigkeit, allem Willen zum Leben die gleiche Ehrfurcht vor dem Leben entgegenzubringen wie dem eigenen. So erlebt er das andere Leben in dem seinen. Als gut gilt ihm alsdann: Leben zu erhalten und zu fördern, entwickelbares Leben auf seinen höchsten Wert zu bringen. Als böse gilt ihm nun: Leben schädigen oder vernichten, entwickelbares Leben in der Entwicklung hindern. Dies ist das absolute und denknotwendige Grundprinzip des Sittlichen. Durch die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben kommen wir in ein geistiges Verhältnis zur Welt.

In meinem Leben habe ich immer versucht, in meinem Denken und Empfinden jugendlich zu bleiben, und habe stets von neuem mit den Tatsachen und meiner Erfahrung um den Glauben an das Gute und Wahre gerungen. In dieser Zeit, in der Gewalttätigkeit sich hinter der Lüge verbirgt und so unheimlich wie noch nie die Welt beherrscht, bleibe ich dennoch davon überzeugt, dass Wahrheit, Friedfertigkeit und Liebe, Sanftmut und Gütigkeit die Gewalt sind, die über aller Gewalt ist. Ihnen wird die Welt gehören, wenn nur genug Menschen die Gedanken der Liebe und der Wahrheit, der Sanftmut und der Friedfertigkeit rein und stetig genug denken und leben.

Alle gewöhnliche Gewalt in dieser Welt schafft sich selber eine Grenze, denn sie erzeugt eine Gegengewalt, die ihr früher oder später ebenbürtig oder überlegen sein wird. Die Gütigkeit aber wirkt einfach und stetig. Sie erzeugt keine Spannungen, durch die sie sich selbst aufhebt, sondern sie entspannt die bestehenden Spannungen, sie beseitigt Misstrauen und Missverständnisse. Indem sie Gütigkeit weckt, verstärkt sie sich selber. Deshalb ist sie die zweckmäßigste und intensivste Kraft. Was ein Mensch an Gütigkeit in die Welt hinausgibt, das arbeitet an den Herzen der Menschen und an ihrem Denken. Unsere törichte Schuld ist, dass wir nicht ernst zu machen wagen mit der Gütigkeit. Wir wollen immer wieder die große Last wälzen, ohne uns dieses Hebels zu bedienen, der unsere Kraft verhundertfachen kann. Eine unermesslich tiefe Wahrheit liegt in dem Worte Jesu: ???Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.“

Die Ehrfurcht vor dem Leben gebietet uns, den hilfsbedürftigen Völkern in der Welt Hilfe zu bringen. Den Kampf gegen die Krankheiten, von denen diese Völker bedrängt sind, hat man fast überall zu spät begonnen. Letzten Endes ist alles, was wir den Völkern der früheren Kolonien Gutes erweisen, nicht Wohltat, sondern es ist unsere Sühne für das Leid, das wir Weißen von dem Tage an über sie gebracht haben, da unsere Schiffe den Weg zu ihren Gestaden fanden. Es muss dahin kommen, dass Weiß und Farbig sich in ethischem Geist begegnen. Dann erst wird eine echte Verständigung möglich sein. An der Schaffung dieses Geistes zu arbeiten, heißt zukunftsreiche Politik treiben.

Wer durch menschliche Hilfe aus schwerer Not oder Krankheit gerettet wurde, der soll mithelfen, dass die, die heute in Not sind, einen Helfer bekommen, wie er einen hatte. Dies ist die Bruderschaft der vom Schmerz Gezeichneten. Ihr obliegt das menschliche und ärztliche Humanitätswerk bei allen Völkern. Aus den Gaben der Dankbarkeit soll dieses Werk getan werden. Ich will glauben, dass sich genug Menschen finden werden, die sich zu Opfern der Dankbarkeit erbitten lassen werden für die, die jetzt in Not sind.

Die Not aber, in der wir bis heute leben, ist die Gefährdung des Friedens. Zurzeit haben wir die Wahl zwischen zwei Risiken. Das eine besteht in der Fortsetzung des unsinnigen Wettrüstens in Atomwaffen und der damit gegebenen Gefahr des Atomkrieges, das andere im Verzicht auf Atomwaffen und in dem Hoffen, dass Amerika, die Sowjetunion und die mit ihnen in Verbindung stehenden Völker es fertigbringen werden, in Verträglichkeit und Frieden nebeneinander zu leben. Das erste Risiko enthält keine Möglichkeit einer gedeihlichen Zukunft. Das zweite tut es. Wir müssen das zweite wagen. Die Theorie, man könnte den Frieden dadurch erhalten, dass man den Gegner durch atomare Aufrüstung abschreckt, kann für die heutige Zeit mit ihrer so gesteigerten Kriegsgefahr nicht mehr in Betracht gezogen werden. Das Ziel, auf das von jetzt bis in alle Zukunft der Blick gerichtet bleiben muss, ist, dass völkerentzweiende Fragen nicht mehr durch Kriege entschieden werden können. Die Entscheidung muss friedlich gefunden werden.

Ich bekenne mich zu der Überzeugung, dass wir das Problem des Friedens nur dann lösen werden, wenn wir den Krieg aus einem ethischen Grund verwerfen, nämlich weil er uns der Unmenschlichkeit schuldig werden lässt. Ich habe die Gewissheit, dass der Geist in unserer Zeit ethische Gesinnung zu schaffen vermag. Deshalb verkünde ich diese Wahrheit in der Hoffnung, dass sie nicht als eine Wahrheit beiseite gelegt werde, die sich in Worten gut ausnimmt, für die Wirklichkeit aber nicht in Betracht kommt.

Mögen die, welche die Geschicke der Völker in Händen haben, darauf bedacht sein, alles zu vermeiden, was die Lage, in der wir uns befinden, noch schwieriger und gefahrvoller gestalten könnte. Mögen sie das wunderbare Wort des Apostels Paulus beherzigen: Soviel an euch liegt, habt mit allen Menschen Frieden! Es gilt nicht nur den einzelnen, sondern auch den Völkern. Mögen sie im Bemühen um die Erhaltung des Friedens miteinander bis an die äusserste Grenze des Möglichen gehen, damit dem Geiste der Menschlichkeit und der Ehrfurcht vor allem Leben zum Erstarken und zum Wirken Zeit gegeben werde.“

 

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--------------------------------------  Zitate von Albert Schweitzer  --------------------------------------

 

 

 

 

 

 

 

                                   

 

Wir leben in einem gefährlichen Zeitalter. Der Mensch beherrscht die Natur, bevor er gelernt hat, sich selbst zu beherrschen.

Das Verhängnis unserer Kultur ist, daß sie sich materiell viel stärker entwickelt hat als geistig.

Jahre runzeln die Haut, aber den Enthusiasmus aufgeben runzelt die Seele.

Niemand wird alt, weil er eine bestimmte Anzahl von Jahren gelebt hat. Menschen werden alt, wenn sie ihre Ideale verraten.

Wer sich vornimmt, Gutes zu wirken, darf nicht erwarten, daß die Menschen ihm deswegen Steine aus dem Weg räumen, sondern muß auf das Schicksalhafte gefaßt sein, daß sie ihm welche draufrollen.

Keine Zukunft vermag gutzumachen, was du in der Gegenwart versäumst.

Die Liebe stirbt meist an den kleinen Fehlern, die man am Anfang so entzückend findet.

Humanität besteht darin, daß niemals ein Mensch einem Zweck geopfert wird.

Der moderne Mensch wird in einem Tätigkeitstaumel gehalten, damit er nicht zum Nachdenken über den Sinn seines Lebens und der Welt kommt.

Ethik ist ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegenüber allem, was lebt.

Wir müssen aus dem Schlafe erwachen und unsere Verantwortung sehen.

 

Wieviel Wasser fließt unterirdisch und dringt nie als Quelle zur Erdkruste durch?
Wieviele Gedanken und Absichten schlummern in uns und können doch nie die Schale unseres Herzens aufbrechen?
Versuchen wir jenes Wasser zu sein, das als Quelle seinen Weg findet.
(Selbstzeugnisse, 1967, S. 56)

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2) Günter Wallraff

 

"Günther Wallraff ist ein bedeutender Journalist. Und ist vor allem durch seine verdeckten Recherchen bekannt geworden so zum Beispiel durch "Von einem der Auszog und das Fürchten lernte - Mein Tagebuch aus der Bundeswehr" (1970) in dem er die Praktiken der Bundeswehr öffentlich machte unwillige Wehrdienstler in den Dienst zu pressen. Er protestierte in Griechenland gegen die Unterdrückung durch das Militär und deckte in Portugal dei Putschpläne Spinolas auf "Aufdeckung einer Verschwörung. Die Spinola Aktion" (1976). Wirklich bekannt wurde er durch seine Verdeckte Arbeit bei der BILD Zeitung "Der Aufmacher. Der Mann der bei BILD Hans Esser war." (1977) "Zeugen der Anklage. Die Bild-Beschreibung wird fortgesetzt" (1979) und "Bild-Störung" (1985). Eines der wichtigsten und wohl bekanntesten Werke ist wohl "Ganz unten" zu dessen Recherchen er sich zwei Jahre lang als der türkische Gastarbeiter Ali ausgab um von der Diskriminierung, Erniedrigungen und Ausbeutung ausländischer Mitarbeiter in deutschen Betrieben zu berichten." (aus: http://www.die-abtruennigen.de/showtopic.php?threadid=703)

 

Wallraff über sich

 

> Was sind Sie?

 
  Günter Wallraff: Ich bin so ein Pendler zwischen Einsiedler und Einzelkämpfer, der aber dann, wenn es darauf ankommt wieder alles riskiert. Aber zwischendurch ziehe ich mich zurück, habe auch tiefste Depressionen, weil ich merke: Das ist ein gesellschaftlicher Zustand - eine Form der Unverbindlichkeit, des Entertainments - in der ein Verdauungsapparat einer verschlingenden Mediengesellschaft alles ganz schnell, auch die Kritiker, absorbiert, vereinnahmt und sie gefügig macht. Die meisten stellen sich allzugerne als Mitspieler zur Verfügung, da es ja auch mit Verlockungen verbunden ist. Ganz wichtig ist jedoch: Dem eigenen Gewissen folgend sich nicht instrumentalisieren zu lassen.

> Wie sehr hat Sie Ihre Entscheidung den Wehrdienst zu verweigern geprägt?

 
  Günter Wallraff: Ich bin von meiner Herkunft her Berufsverweigerer. So hat meine Kriegsdienstverweigerung begonnen. Zehn Monate habe ich standgehalten - damals noch fast von einem halbfaschistischen Apparat mit Nazis und Revanchisten durchsetzt - und hatte aus christlichen Prinzipien mich geweigert, ein Gewehr in die Hand zu nehmen. Das hat mich geprägt. Ich war damals eher ein Träumer. Ich habe damals in mein Tagebuch geschrieben, Wolf Biermann hat es später vertont:

"Ich träumte
das Leben sei ein Traum
und wachte auf davon
und da war das Leben
gar kein Traum
und da schlief ich nie wieder ein.

Das war genau das Schockerlebnis, das daraus resultierte. Und das hat angehalten. Weil ich nicht nachgab und den Antrag nicht zurückzog, damals noch von Böll ermutigt wurde, wurde ich zuguterletzt in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie im Koblenzer Bundeswehrlazarett eingeliefert. Sie verliehen mir dann den einzigen Ehrentitel, den man mir damals vergeben konnte: "Abnorme Persönlichkeit, für den Krieg und Frieden untauglich." So wurde ich in die Freiheit entlassen.

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> Was bedeutet Verweigerung für Sie?

 
  Günter Wallraff: Es ist auch eine Aktion der Selbstvergewisserung. Das was später als Kunstform sich feierlich zelebrierte - Happening -, das habe ich nicht als Kunstform deklariert, sondern gelebt. Das hat damals Staeck gut erkannt, als ich 1974 die Griechenlandaktion machte. Ich habe mich damals auf dem Syntagma-Platz in Athen angekettet und mit Flugblättern für die Freilassung von politischen Gefangenen und die Meinungsfreiheit demonstriert - mit der Absicht in die Rolle eines politischen Gefangenen zu kommen. Das war Zweck der Übung, kein Selbstzweck. Wenn ich damals zum nächsten Flugzeug geleitet worden wäre, wäre es eine läppische, banale Aktion gewesen. Ich habe extra zuvor meine Kleider in griechische Kleider ausgetauscht, mein ganzes Gepäck in der Botschaft deponiert mit dem Hinweis "Bitte bis zu meiner Rückkehr aufbewahren - wird einige Zeit dauern". Die politische Polizei hat mich dann zusammengeschlagen, ich wurde bei den Verhören gefoltert und inhaftiert. Ein griechisches Militärgericht hat mich dann zu 14 Monaten Gefängnis verurteilt.

Das Ganze ist auch ein Spiel. Ohne diese spielerische Haltung wäre ich vielleicht heute ein verbitterter, verhärmter Mensch. Ich setze manchmal auch mein Leben aufs Spiel. Ich habe auch ein Motto daraus entwickelt: "Wer sich nicht in Gefahr begibt, läßt sich und andere verkommen und erstickt letztlich an sich selbst." Wer sich auf die Zufälligkeit seiner Geburt, seiner Erziehung, seiner Umgebung ein für alle mal verläßt und daran nicht rüttelt, der ist sehr früh festgelegt, kann nicht mehr über den Rand blicken und beraubt sich so vieler Chancen. Egal in welcher Kultur, egal in welchen Zusammenhängen jemand lebt. Es gibt einen Satz des jüdischen Gelehrten Ben Shom

 
  Günter Wallraff: "Wer ist weise? Der von allen lernt, selbst von denjenigen, denen man eher mit Skepsis begegnet."

An dem desorientierten Zustand unserer Gesellschaft sehe ich auch etwas Positives: Es ist eine Auflösung erstarrter Formen. Die Chaoslehre zeigt uns, daß hier neue Ordnungen, neue Strukturen enstehen können. Es wird eine neue soziale Frage geben, die Verhältnisse verlangen danach. Nur zur Zeit hält die Lobby das nieder.

 

Wallraff über die "Informationsgesellschaft"

> Haben Sie sich eigentlich mal mit den Fragen der Informationsgesellschaft beschäftigt? Mit Fragen der Globalisierung, dem Neoliberalismus?

 
  Günter Wallraff: Nicht auf einem abstrakten Niveau. So schrecklich diese Sekte Scientology ist, ist das die Religion unseres endkapitalistischen Zeitalters. Es ist eine adäquate Ersatzreligion. Da gilt nur der Erfolg, der Reichtum, die Effektivität und eine Erbarmungslosigkeit gegenüber Schwächeren und Abweichlern. Das was Huxley in "Brave New World" beschreibt, exerziert diese Sekte.

Aber es geht gar nicht um diese Sekte - wenn man sich bestimmte Konzernstrukturen ansieht, dann wird das Prinzip dieser Sekte bereits vollkommen praktiziert. Da braucht man nicht erst Mitglied von Scientology werden. Hier sollten die Behörden einmal sehen, ob das, was hier an Mobbing und Gehirnwäsche tagtäglich praktiziert wird, nicht den Artikel 1 des Grundgesetzes verletzt: Nämlich. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Es ist ein amerikanisches Prinzip, was durch deutsche Ordnungs- und Gründlichkeitsrituale noch verschärft wird. In bestimmten Konzernetagen, Banken und Versicherungen, tobt sich das erbarmunglos aus. So wie sich die Kapitalströme internationalisiert haben, so wie die Gewerkschaften nur auf nationaler Ebene Schadensbegrenzung versuchen, hat man den Eindruck, daß die Gewerkschaften versuchen die Flut des Turbokapitalismus nur noch mit einigen Sandsäcken auzufhalten. Die Verhältnisse schreien danach, daß eine neue soziale Bewegung entsteht. Sie wird sich anders definieren und organisieren müssen und die neuen technischen Möglichkeiten nutzen.

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> Wie wichtig ist es, über offene Informationen verfügen zu können? Sollten behördliche Informationen per Gesetz jedem Bürger zur Einsicht offen liegen?

 
  Günter Wallraff: Ich bin selbst Betroffener: Immer wieder versuchten Geheimdienstkreise mit gefälschtem Geheimwissen eine Kampagne gegen mich zu lancieren und Rufmord zu betreiben. Man versucht meine Arbeit, die immer wieder subversiv ist, aber auf einer ganz bestimmten demokratischen Grundlage beruht - den Menschenrechten - zu diskreditieren.

Beispiel: Immer wieder Telefonabhöraktionen, die aufgrund von falschen Verdachtsmomenten veranlaßt wurden. Ein Gefälligkeitstelegramm wurde aus dem Bundesnachrichtendienst in Pullach an einen Kölner Oberstaatsanwalt geschickt, der selber ein glühender Strauß-Verehrer und Rechtsradikaler ist. Weil er keine Handhabe gegen mich hatte, wurde ihm dieses gefälschte Material geschickt. Da stand drin: "Einer unbestätigten Information vom Jahre 1969 zufolge soll W. Verbindungen zu spanischen Terroristen, die anarchistischen und trotzkistischen Gruppen angehören, haben. Angeblich versorgt er diese Gruppe mit Waffen und Sprengstoff." Das zu einem Zeitpunkt, zu dem ich noch nie in Spanien war, und niemandem eine Patrone geben würde, da ich überzeugter Pazifist bin. Das hatte zur Folge, daß der Staatsanwalt aus den "unbestätigten Informationen "Erkenntnisse" machte und mich wieder einmal drei Monate lang abhören ließ. Wenn sich herausstellt, daß nichts verwertbares dabei ist, wird man - wenn man Glück hat - später darüber unterrichtet.

Ein anderer Fall beruhte auf einer wahnsinnigen Konstruktion: Ich hätte Jahre zuvor eine Terroristin, Margret Schiller, unter subversivsten Umständen auf einem Bahnsteig getroffen. Jemand, der so aussah wie ich, hätte ihr ein Buch vorgehalten, sie hätte im Gegenzug genickt, wäre ausgestiegen und sie seien zusammen ein Stück weitergefahren und wieder ausgestiegen. Ein Beamter wurde dann - laut Aktenlage - gefragt, was für ein Buch es gewesen sei. "Irgendwas mit "ihr da oben, wir da unten". - "Wallraff?" - Es wurde mein Foto vorgelegt - "Ja, ist er!" - Dann hieß es: "Typ linker Rechtsanwalt, Schnauzbart." Und schon war wieder ein neuer Verdacht konstruiert und ich wurde über Monate abgehört. Als ich davon erfuhr, habe ich sofort den besten Anwalt kontaktiert, der mir bekannt war - Professor Rädecker in Bonn -, und ihn um eine Vertretung gegen das Innenministerium gebeten. Er sagte "Moment, 10 Sekunden Bedenkzeit", ich hörte, wie er am anderen Apparat das Innenministerium anruft, dann sagt er "Tut mir leid, aber ich vertrete die Gegenseite - das Innenministerium". Jahre später habe ich den damals zuständigen Innneminister, Gerhard Baum (FPD) kennengelernt, und ihn darauf angesprochen. Er sagte "Wissen Sie überhaupt, unter welchem Druck ich stand? Sie haben es mir zu verdanken, daß Sie überhaupt informiert wurden. Es gab da Geheimdienstkreise, die Sie lebenslänglich unter Verdacht halten wollten" - um mit immer neuen Vorwänden neue Abhöraktionen starten. Ich habe dann Aufklärung verlangt, was dran ist. Dann kam diese dürftige Geschichte. In diesem Zusammenhang bin ich mit einem Spiegelredakteur zu der Frau gefahren. Ich war ganz erleichtert: Margret Schiller war über 1,90 groß und ich war mir sicher, ich hätte sie nie zuvor, auch nicht in einem anderen Zusammenhang, getroffen.

Drittes Beispiel: Es gibt da auch einen Bundesanwalt, der mir andichtet, ich hätte einen geheimdienstlichen Kontakt zur Staatssicherheit unterhalten und unter dem Deckname WALKÜRE gearbeitet. Statt mich dazu anzuhören, lanciert er das dem SPIEGEL und der BILD-Zeitung. Er fädelte es in die Anklageschrift von Wolf ein, um mich als Zeugen vorzuführen. Ich habe damals in einem ZDF-Interview erklärt: "Sollte dieser Irrsinn fabriziert werden, erkläre ich hiermit verbindlich, daß ich das nur als Satire auffassen kann. Ich werde dann im Walkürekostüm vor Gericht erscheinen - mit Wagnermusik im Kassettenrekorder. Nachdem ich das verbindlich erklärt hatte, hat man mir diesen Gefallen nicht getan. Es gab ein Komplott einiger "Super"-Journalisten im Zusammenspiel mit Geheimdienstleuten, die einem ehemaligen, alkoholkranken Stasi-Mann für 3000 Mark monatlich und dem Versprechen einer künftigen Lebensstellung Falschaussagen in den Mund legten, um mich in dieser Sache vorführen zu können. Ihm sagten sie: "Morgen kommt der Siggi" - das war Bundesrichter Siegmund - "und wenn du ihm nicht das und das erzählst, dann wird es dir ganz dreckig gehen." Er hat gesagt, das sind doch Stasi-Methoden, die ich hier nie für möglich gehalten habe. Vor Gericht hat er sich dann zur Wahrheit durchgerungen und das Ganze aufgeklärt. Den Prozeß habe ich gewonnen.

Jetzt vor wenigen Monaten ist ein neunseitiges Papier, ein Stasi-Dossier aufgetaucht, das genau das widerlegt, was dieses Komplott behauptet hatte und das belegt, was ich immer gesagt habe: Ich habe von '68 bis '71 Archive in der DDR genutzt, habe diesen Archiven z.B. zu verdanken, dass der Leiter des Sicherheitsdienstes des Warschauer Ghettos, Dr. Ludwig Hahn, der in Hamburg als hochangesehener Geschäftsmann lebte, verhaftet und vor Gericht gestellt werden konnte. Er wurde dann zu lebenslänglicher Haft wegen der Ermordung von 280.000 Juden im Warschauer Ghetto verurteilt. In dem Dossier kam plötzlich heraus, daß ich in den Jahren '68 und '71 unter dem Deckname WAGNER regisitriert war - nicht unter WALKÜRE. Man sah auch - so die Lesart der Gauck-Behörde, ganz anders als der FOCUS -, daß die Staatssicherheit mich nicht "lenken und abschöpfen" konnte, daß ich mich nicht vom "marxistisch-leninistischen Standpunkt aus leiten ließ" und "anarchistische Vorstellungen hätte. Ja klar, ich hatte die DDR von links kritisiert und gesagt, daß ich, wenn ich in diesem bürokratischer, menschenfeindlicher Haufen leben und arbeiten würde, dort schon längst inhaftiert wäre. Das war unmißverständlich. Aber es gab eine Gemeinsamkeit, wie ich damals glaubte: Die Bewältigung des Faschismus, die Aufklärung hiesiger faschistischer Vergangenheiten. Hätten wir damals so etwas wie eine Gauck-Behörde gehabt, hätte ich mich nicht in einem DDR-Archiv umsehen müssen.

 

G. Wallraff
G. Wallraff

> Was denken Sie über Öffentlichkeit und Demokratie?

 
  Günter Wallraff: Je mehr Öffentlichkeit hergestellt wird, desto mehr Sauerstoff wird in die Demokratie hineingepumpt. Je mehr Geheimwelten, umso mehr Mief, Ausdünnung und Verkümmerung und Unterhöhlung der Demokratie. Alles was öffentliche Diskussionen schafft, ist etwas befreiendes, etwas demokratieförderndes. Jedes Geheimwissen ist letztlich eine Reduzierung der Demokratie. Jeder Bürger muß die Möglichkeit haben, seine eigenen Akten einsehen zu können. So eine Behörde darf aber auch nicht zum Selbstzweck werden. Ursprünglich machten da auch die Bürgerrechtler mit, inzwischen ist es - wie auch Jürgen Fuchs sagt - sehr verbeamtet. Geheimdienste bemächtigen sich dieses Geheimwissens, um von Fall zu Fall politisch Genehme rauszulassen und andere aus politischen Gründen der Menschenjagd auszuliefern. Da sehe ich die Probleme auch die Akten unserer Dienste sollten offen gelegt werden. Das Buch von Erich Schmidt-Eenboom - "Der BND und die deutschen Journalisten" - könnte hier übrigens zu wesentlich mehr Transparenz, Ehrlichkeit und Ausgewogenheit beitragen.

 

Quelle/ganzer Artikel: http://www.heise.de/tp/deutsch/special/frei/2454/1.html

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