Gesellschaft

Kony’s tausende Kindersoldaten – Infos und Kritikpunkte zur weltweiten Protestaktion

Da bleibt einem die Luft weg: In Uganda treibt ein Mann seit Jahrzehnten sein Unwesen: er heißt Kony und wird gerade über WorldWideWeb berühmt. Die von Kony angeführte „Lord’s Resistance Army“ hat geschätzte 66.000 Kinder entführt und zu Soldaten gemacht und ist für die Vertreibung von 2 Millionen Menschen verantwortlich.

Wer von euch hat schon von der KONY 2012 – Kampagne gehört und was haltet ihr davon?

Der Film stammt von der Organisation „Invisible Children“ und ihn gibt es auch auf Youtube.

Ich finde den Film wirklich sehr gut gemacht; spannend und mitreißend inszeniert… und vor allem mit einem hehren Ziel: einen Mann zu fassen, der ganz oben auf der Liste der weltweit gesuchten schlimmsten Verbrecher steht.

Worin ja auch eine gewisse „Gefahr“ besteht zu sympathisieren, ohne genaue Hintergründe zu kennen. Nun, gegen Kindersoldatentum wird wohl fast jeder was haben. Ich frage mich aber auch, warum Kony so eine seltsam große Macht hat. Und ob, wenn nun alle Welt „Kony“ liest (auf Plakaten und kleinen Kettchen am Armband…) … ob sich die Welt

  • a) wirklich für eine Lösung interessiert, und zwar auch morgen noch
  • b) nicht nur einfach Millionen Mitläufer „gefällt mir“ klicken und die Sache wieder vergessen
  • c) ob ihn als Thema bekannt zu machen zu dem Erfolg führen kann, dass er ins Gefängnis kommt
  • d) ob es wirklich sein kann, dass ein einzige Mensch die „ganze Macht“ hat und mit dem Ausfall dieser Person das ganze Problem beseitigt ist…
Logo des ICC
Der Internationale Gerichtshof in Den Haag (Niederlanden) ahndet seit 2002 Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Im Film wird eine Liste erwähnt, auf der Kony ganz oben gelistet ist. Die Rede ist vom internationalen Strafgerichtshof (kurz: ICC), der sich international mit Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und Kriegsverbrechen beschäftigt. Die erwähnte Most-Wanted-Liste im Film nennt sich in ganzer Länge: „List of people indicted in the International Criminal Court.“ 2005 wurde der Haftbefehl gegen Joseph Kony ausgerufen. Darin enthalten sind 33 Anklagepunkte, allesamt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (vorsätzliche Tötung, Versklavung, Zwangsprostitution, Vergewaltigung, unmenschliche Handlungen: schwere Verletzungen der körperlichen und geistigen Gesundheit) und wegen Kriegsverbrechen (grausame Behandlung von Zivilpersonen, Plünderung, Anstiftung zur Vergewaltigung, und die Zwangsrekrutierung von Kindern).

Ist die Kampagne unterstützenswert?

 Wichtig ist, dass die Dinge mal so angesprochen und aufbereitet werden, dass eine große Menge von Menschen von diesem Thema Wind bekommt. Es gibt unzählige Organisationen und Kampagnen die auf die Missstände versucht haben eindringlich hinzuweisen… aber bis vor ein paar Tagen kannte „so gut wie niemand“ den Namen Kony… und keiner wollte was vom Problem der Kindersoldaten wissen. Jetzt geht ein Aufschrei um die Welt, und das ist ein wichtiger und richtiger Schritt. Ein Anfang!!

Der Film macht leider leichte Tendenzen der Initiatoren zur Selbstdarstellung sichtbar. So bleiben andere Organisationen, die ebenfalls große Hilfe vor Ort geleistet haben unerwähnt, dass der Eindruck entsteht, niemand sonst hätte sich je um das Problem gekümmert.

das Kony Kit
Merchandise oder Revolution in Zeiten des Kapitalismus? Ihren Protest sollten die Aktivisten mit gekauften Armbändchen und Buttons demonstrieren.

Es beschleicht einen das Gefühl, einer gut ausgefeilten Werbekampagne zu erliegen, wenn im Film das „KONY KIT“ angepriesen wird, welches man auf der Website für 15 Dollar kaufen kann (oder hier downloaden). Ziel ist es, am 20. April die „Offline-Welt“ zu plakatieren. Gerade mal 30 % der Spenden fließen in Hilfeprojekte vor Ort, der Rest des Geldes wird für Filme und Werbemittel aufgewendet. Moritz (laute-irrt.de) fasst die Ausgaben so zusammen: >>Über eine Million US-Dollar der beinahe 9 Millionen US-Dollar Gesamtausgaben aus dem Jahr 2011 hat die Organisation für Reise- und Transportkosten ausgegeben. Weiterhin gingen 357.610 US-Dollar an die Filmproduktion und 951.552 US-Dollar sind als “Produktionskosten” angegeben.<< Vielleicht muss das so sein, vielleicht kann man nicht anders die Aufmerksamkeit der Massen erzielen. Dennoch: was könnte man alles mit den bisher gesammelten Spenden finanzieren!!

Herr Kruse spricht 2010 über die Macht der Internetuser.

Es ist nicht in Abrede zu stellen, wie engagiert hier vorgegangen wird, und wie viele junge Menschen mitziehen. Hier entsteht ein weiterer Grundstein des neuen „WIR“-Gefühls… des globalen Zusammenhalts, was ich einfach nur befürworten kann. Sehr schön auf die Versinnbildlichung durch die umgedrehte Pyramide: die Umkehr der Macht; die Möglichkeit eines jeden einzelnen die Welt aktiv mitzugestalten und zu verändern: Durch das Internet finden Menschen zusammen, können wir Geschichten, Erfahrungen und Informationen verbreiten: schneller und effizienter denn je. Das ist unsere Macht. Und es ist auch ein wahnsinnig großes Potential, dass wir uns nebst Facebook-Gefällt-Mir-Klick auch noch selbst umfassend an anderer Stelle informieren können!

Ich trage mich in Sorge, dass auch Formen von „kollektiver Meinungsbildung“ nur vorübergehender Natur sind, und dass das, was heute brisant ist und diskutiert wird, morgen schon wieder vergessen oder durch eine andere Katastrophe oder Schreckensmeldung verdrängt wird. Wir erleben eine Flut von Botschaften und Aufrufe zum Unterzeichnen von Petitionen – und in diesen Wellen drohen wir unterzugehen und haben unsere Füße keinen Grund mehr.

Sollte es gelingen, dass die weltweite Aufmerksamkeit dazu führt, dass die Machthaber sich dem öffentlichen Druck beugen, wäre ein großer Schritt getan. Bisher gibt es wohl kaum einen Krieg, der nicht aus wirtschaftlichen Interessen geführt wurde – und auch keine Einmischung in menschenrechtsverletzende Angelegenheiten, wenn nicht für die Eingreifer selbst etwas dabei herausspringen konnte. Was kann hier für die USA von Vorteil sein? Besteht hier nicht die Gefahr, einer modernen Propaganda zu erliegen – ein von den Massen abgesegneter Feldzug? Die Süddeutsche formuliert passend: >>Kony 2012 mag das Gute wollen, aber die Kampagne gibt doch eine ungute Vorahnung davon, wie leicht und schnell sich mit ihren Mitteln Massenunterstützung auch für noch größere militärische Interventionen organisieren ließe.<<

Mir geht nicht aus dem Kopf, dass in dem Film zu Krieg aufgerufen wird. Kann das die einzige Lösung sein? Und: Führt dann nicht das ugandische und us-amerikanische Militär Feldzug gegen Kindersoldaten???

Was nun völlig fehlt sind eigentlich die Hintergrundinformationen: Wer ist dieser Kony und warum hat er soviel Macht? Wer sind seine Mitstreiter, denn alleine wird so ein riesiges Heer wohl nicht zu bewegen sein. Man bedenke: Kony und 5 weitere Anführer stiften an: und hunderte andere ziehen mit, befolgen Befehle und vergewaltigen, foltern, töten. Anders gesagt: ohne die anderen wäre doch ein Kony auch machtlos! Laut Wikipedia ist das ausgesprochene Ziel der „Widerstandsarmee des Herrn“ (LRA), dass das Land nach den 10 Geboten lebt und von einem gotterwählten Herrscher gelenkt wird… Wahnsinn, oder? Es fehlen Informationen und Aufklärung zu den Gegnern. Ich möchte gerne den ganzen Prozess verstehen, er kann und wird niemals so einfach schwarz-weiß sein!

Afrika wird wieder als das Problemkind hingestellt. Der gute Weiße muss kommen, um alles ins Lot zu bringen…

Sehr spannend ist auch das kurze Statement einer in den USA lebenden Uganderin, die sehr deutlich hinterfragt, warum das Militär gerade jetzt in Uganda aktiv sein will, obwohl Kony’s „Zenit“ schon überschritten ist und er selbst sich gar nicht mehr in Uganda aufhält…

Hintergrundinformationen

Joseph Kony (*1961) ist der Rebellenführer der sogenannten Widerstandsarmee des Herrn (LRA, Lord’s Resistance Army), die es schon seit 1987 gibt und aus der Holy Spirit Movement hervorging. Kony gehört dem Stamm der Acholi an, welcher befürchtet von den Museveni [1]aus: Süddeutsche Zeitung „Die unheilige Armee des Joseph Kony“, Mai 2010 | Archivlink vernichtet zu werden und deswegen eine Guerilla aufbaute. In einem Artikel auf Sudan Tribune finde ich die Information, dass er 27 Ehefrauen hat und mit diesen 42 Kinder. Es gab immer wieder Zeitungsberichte von ihm und die Schandtaten der LRA. So schreibt die Süddeutsche: „(Die LRA) verbrannte die Menschen bei lebendigem Leibe, zerhackte ihnen mit Äxten die Köpfe oder schlug ihnen mit Macheten Arme, Beine, Ohren, Nasen oder Lippen ab. Mehr als 100.000 Menschen kamen so schon zu Tode, mehr als eine Million wurden vertrieben, und auch wenn Kony mit einem internationalen Haftbefehl aus Den Haag gesucht wird, niemand konnte ihn bisher fassen. Die ugandische Armee besaß bis Anfang 2000 nicht einmal ein Foto des Kriegsverbrechers.“ Im selbigen Artikel finde ich das erste mal auch einen Hinweis auf die Begründung seiner Macht. Denn ein Wahnsinniger allein macht keine Armee, die folternd durch die Lande zieht. Der Nordsudan hatte die LRA lange Zeit unterstützt, mit Geld und Waffen versorgt – weil sie gegen den Südsudan ins Feld zog.

Es gibt einen Dokumentarfilm über die Kindersoldaten Ugandas, er heißt: „Lost Children“ und wurde 2003/04 gedreht.

Was ich übrigens besonders erschreckend finde – und was zur Zeit absolut unerwähnt bleibt, ist, dass die derzeitige Regierung Ugandas, unter Führung von Museveni in der National Resistance Army ebenfalls Kindersoldaten rekrutiert hat! Und dass das im Gegenzug ohne Folgen bleibt.

Schon 2006 – das ist jetzt 6 Jahre her! – gaben Nachrichtendienste bekannt, dass Kony, weil er verfolgt wird, mit 15 anderen Rebellen in die Republik Kongo geflohen ist und dort schwer aufzufinden ist. Warum also Militär in Uganda aufbauen?

Eine Frage die bleibt, …

… ist: „Was können wir tun?“ Es ist hilfreich und lohnenswert, erst einmal zu versuchen zu verstehen, wie dieser Konflikt (vor über 20 Jahren!) begann. Welche Entwicklungen seitdem genommen wurden, wie die Gesamtsituation zu erklären ist. Dabei wird man nicht nur feststellen, dass alles wahnsinnig konfus und vielschichtig ist, sondern auch, dass alle andern Beteiligten ebenfalls Blut an den Händen haben. Dass Kony nicht der „einzige Böse“ ist, der irregeleitet seinen Wahnsinn treibt – sondern dass das Rekrutieren von Kindersoldaten durch Rebellengruppen als auch von Seiten der Regierungen (!) in viel zu vielen Ländern Gang und Gäbe ist.

weiterführende Linkhinweise

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Quellen und weitere Hinweise

Quellen und weitere Hinweise
1 aus: Süddeutsche Zeitung „Die unheilige Armee des Joseph Kony“, Mai 2010 | Archivlink

4 Kommentare

  1. Das ist wieder einer dieser Hypes bei dem erst Millionen Menschen etwas verbreiten, bevor endlich jemand hinterfragt, was da eigentlich gezeigt wird.

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  2. @Aferdite: Hinterfragt wird denke ich schon sehr viel. Nur finden diese Beiträge bei weitem nicht die Aufmerksamkeit, die das Video findet. Man muss sich das so vorstellen: Die NGO „Invisible Children“ sagt etwas, und hunderte Zeitungen, Blogs und Medien sagen etwas. Nur wird Letzteres von den meisten viel weniger wahrgenommen – das Video auf YouTube hat über 60 Millionen Klicks. Die kritischen Beiträge zusammen vielleicht eine Million, oder zwei, oder so. Aber sicher nicht 60.

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