Das Künstlergut in Prösitz

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In dem kleinen Ort „Prösitz“ in der Nähe von Leipzig/Grimma liegt ein Gebäudekomplex, das meine Kindheit entscheidend mitgeprägt hat. Hab ich als Kind damals nur mitbekommen, dass auf diesem Hof ständig reger Betrieb herrschte und dass die Menschen dort immer irgendwie künstlerisch tätig waren, so weiß ich heute mehr über dieses beeindruckende Projekt, von dem ich hier nun berichte:

Es ist vom  „Künstlergut Prösitz“ die Rede, eines der wenigen Künstlerhäuser, die man in Deutschland finden kann. Der ehemalige Bauernhof wurde so umgebaut, dass hier nun (seit etwa 10 Jahren) Raum und Platz für die Arbeit und das Wohnen von Bildhauerinnen geschaffen wurde.

Das Fabelhafte daran ist, dass Künstlerinnen ohne weiteres mit ihren Kindern dabei sein können, da die Versorgung und Fürsorge durch eine Betreuungsperson gesichert ist. Das finde ich insofern so bemerkenswert, weil ich mir gut vorstellen kann, dass Künstlerinnen heutzutage es ziemlich schwer haben, Kinder und Arbeit unter einem Hut zu kriegen. Dieses Problem der Doppellast wird auf dem Künstlergut hervorragend gelöst: Die Kinder sind einerseits ständig in der Nähe der Mutter, haben andererseits tagsüber Kontakt zu Gleichaltrigen, werden immer betreut und können auf Grund der ländlichen Abgeschiedenheit Land, Umwelt und Natur bewusst erleben.

Die geschaffenen Arbeiten werden bundesweit in Ausstellungen präsentiert und in Katalogen veröffentlicht. Diese Art von Projekt ist weltweit bisher einzigartig, was sich darin zeigt, dass sogar Künstlerinnen aus Brasilien, Russland, Frankreich, Polen und der Schweiz sich in Prösitz aufhalten. Neben diesem Hauptanliegen ist das Künstlergut natürlich auch ständig dabei, Kunstprojekte zu unterstützen und zu organisieren, dazu gehören beispielsweise das Projekt "Kunst statt Kohle", die "Freibrandwoche" und "Integratives Sozialprojekt mit Strafgefangenen“.  

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weitere infos zum künstlergut

Künstlergut Prösitz e.V.

Dorfstraße 1
04688 Prösitz
Telefon: 034385 5 13 15
Telefax: 034385 5 24 47

künstlergut prösitz

 und viele mehr

Das Echo von Prösitz

Kunst, Kinder und Kreativität - ein Künstlerinnengut im Sächsischen wird erwachsen

ein Text von Jutta Donat

Auf Gut Prösitz ist alles anders als sonst auf dem Lande. Die Tiere in den Stallungen sind nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Ton und folglich werden die Sauen nicht geschlachtet, sondern nach dem Modellieren und vor dem Brennen zum Trocknen in die Sonne gestellt. Im Steingarten tummeln sich Disteln, Malven und Skulpturen. Auf diesem Bauernhof wurden aus Schweineställen  Künstlerinnenateliers und wo früher der Misthaufen vor sich hin duftete, lädt heute eine Schaukel Kinder und Junggebliebene zu Luftsprüngen ein. Manchmal verirrt sich eine    selbstbewusste Katze auf den Gutshof und wird quasi als letzte Vertreterin der tierischen Rasse von Alt und Jung mit großem Hallo begrüßt. Dieser Dreiseithof inmitten der sächsischen Prärie ist ein Refugium für Bildhauerinnen mit Kindern.

„Sie kommen aus ganz Deutschland, mitunter sogar aus Europa, sind noch kaputt von der Reise, aber die erste Frage lautet immer: Wo kann ich arbeiten?“, erzählt Ute Hartwig-Schulz, die Leiterin des Künstlerhauses Prösitz. Das Sich Einleben wird den Künstlerinnen leicht gemacht, nicht zuletzt dank Kinderfrau Kathrin Beyer, die die Kleinen in ihre Obhut nimmt, während ihre Mütter die Atelier- und Wohnräume in Beschlag nehmen. Abends am Steintisch im Hof tauscht man sich aus oder besichtigt an den Wochenenden die Museen und befreundeten Künstlerhäuser der Umgebung. Ein Stipendium von 500 Euro als künstlerische Auszeichnung, gestiftet vom Verein Künstlergut Prösitz e.V., und die liebevolle Kinderbetreuung erlaubt es jeweils zwei jungen Müttern,  zeitgleich vier Wochen lang ungestört arbeiten zu können.  Seit 1993 nahmen bisher jeweils acht Bildhauerinnen pro Jahr an diesen Symposien – so nennen sie die vierwöchigen Werkstattaufenthalte - teil. Immer im Frühjahr des Folgejahres sind ihre Arbeiten in der Grimmaer Klosterkirche „St. Augustin“ zu besichtigen. Nahezu 100 Stipendiatinnen machten seit Bestehen der Einrichtung von den Angeboten dieses künstlerischen Modellprojektes Gebrauch.

Kunst und Kind haben bei der Auswahl der Stipendiatinnen den gleichen Stellenwert: Nicht nur die künstlerische Handschrift der Bewerberinnen sollte für ein Arbeitsstipendium herausragend sein, die Jury legt ebensoviel Wert auf das andere Kriterium: ausnahmslos nur Mütter kommen in die engere Wahl. Unter den Künstlerhäusern Deutschlands nimmt damit Prösitz einen besonderen Platz ein. Und auch, dass Frauen  für Frauen ein Thema sind , ist gar nicht mehr so häufig hier zulande.

Nicole Frenzel aus München sieht in diesem Aufenthalt in Prösitz nach der Babypause die Initialzündung zum Wiedereinstieg in ihre künstlerische Tätigkeit. Und während die zweijährige Dora im Buddelkasten Sandfigürchen formt, will ihre Mutter in den vier Wochen die plastische Umsetzung von Haaren erproben.

Die Berlinerin Michaela Müller, die an originellen Sitzobjekten arbeitet, ist zum zweiten Mal in Prösitz. „Der besondere Pluspunkt ist die Kinderbetreuung für Tigor und Anna. Es ist klasse, sich mal so intensiv auf die eigene Arbeit konzentrieren zu können. Das gibt es nirgendwo anders.“

Sich aufs Land zurückzuziehen, um Weltkunst zu machen – dieses Phänomen der Künstlerhäuser hat die Bildhauerin Ute Hartwig-Schulz seit ihrer Studienzeit an der Hochschule für bildende Künste Dresden fasziniert. Der Satz eines rumänischen  Bildhauers geht ihr dabei  nicht aus dem Sinn: Der Künstler müsse sich seine Arbeitsbedingungen selbst organisieren. Früh hat sie begriffen: Wenn du nicht selbst dafür sorgst, dass du zum Arbeiten kommst, tut`s kein anderer für dich! „Das ist wie in Virginia Woolfs Roman „Ein Zimmer für sich allein“, sagt sie. „Die Grundvoraussetzung für künstlerische Arbeit sind ein Arbeitsraum und die materielle Absicherung“. Das wurde zu ihrem Arbeitsansatz. „Bildhauer sind von ihrer Profession her kooperativ“, weiß sie.

Als sie im Herbst 1989  zusammen mit ihrem Mann dieses verfallene Anwesen in der Nähe von Mutzschen entdeckte, schienen ihre Pläne in Erfüllung zu gehen. Aber was auf dem Papier so mühelos klingt, war in praxi mit einer gewaltigen, jahrelangen Sanierungsanstrengung durch das Ehepaar und ihren Freunde verbunden, ehe 1993 das 1. Symposium stattfinden konnte. Zu den Pionieren, die als erste zusammen mit Ute Hartwig-Schulz eine Werkstatt auf dem Bauernhof Hartwig-Schulz in Prösitz mitgestalteten und durch sie ermutigt wurden, gehörten Katrin Jähne, Ingeborg Lockemann, Berit Molau, Britta Brückner, Doris Badura, Roswitha Bühler und Konstanze Eißner.

 

„Eigentlich bin ich eine kleine Hochstaplerin gewesen“, erinnert sich die Ute,  inzwischen allein erziehende Mutter von Tochter Ruth, und entschärft mit ihrem sündhaft-sonorem Lachen aus tiefster Brust sogleich dieses Geständnis. Und doch: Die ersten fünf Jahre habe sie, ohne eine Mark zu bekommen, gearbeitet, aber hunderttausende gewälzt. Ohne eine solche Unterstützung, wie sie sie von Maria Reichel, der damaligen Kulturamtsleiterin im Landratsamt Grimma erhalten habe, die sie sicher durch den Finanzdschungel geführt habe, hätte das Projekt nie laufen gelernt.

Noch heute ist sie sich des Risikos bewusst, dass sie mit jeder Unterschrift unter einen Fördermittelantrag mit Haus und Hof dafür haftet. Da ist es fundamental wichtig, solche Partner mit Sachverstand im  Förderverein Künstlergut Prösitz e.V. zu haben wie Professorin Ilse Nagelschmidt, Gleichstellungsbeauftragte der Leipziger Universität, Kuratorin Christine D. Hölzig oder Carsten Graf, den Bürgermeister der Stadt Mutzschen. Wichtige Verbündete sind auch der Kulturraum Leipziger Raum und das Regierungspräsidium Leipzig.

Die Bildhauerin Heinke Binder, die das Projekt als Vorsitzende des Vereins Künstlergut Prösitz e.V. seit Mitte der Neunziger Jahre begleitet, lobt die Ausdauer, Hartnäckigkeit und das Organisationstalent ihrer Geschäftsführerin, der  täglich aufs Neue die Verbindung von Kunst und Soziokultur gelingt.

Denn während die Bildhauerin Ute Hartwig-Schulz ihre Formensprache stetig entwickelt und verfeinert -  so wird das Wildschwein als  Symbol für Kraft, Stärke und sexuelle Lust der Frau die entscheidende Figur ihres Schaffens und die Installation „Todeslaut“ entsteht als Kontrapunkt zum gewöhnlichen Stillleben - entdeckte sie neue Facetten ihrer Kreativität als Künstlerin: das Entwickeln von Projekten und die Sozialkompetenz. Sie geht heute in Besprechungen, vertieft sich in Spielregeln, entwickelt Projekte, schreibt Fördermittelanträge, pflegt Kontakte. So sieht sie im kürzlich gegründeten Landesverband Sächsischer Künstlerhäuser, deren Vorsitzende sie wurde, einen wichtigen Wirkungsrahmen für Künstler. „Potenzierte Kunst“ ist das in ihren Augen.

Was die Prösitzer tun, findet nicht nur im Sächsischen ein Echo: Vorläufiger Höhepunkt ihrer Arbeit war die „Gutsherrinnen“ -Ausstellung 2004/2005 in Grimma, Potsdam und Bonn anlässlich des 10-jährigen Bestehens des Künstlergutes. Unter dem Titel: „Die Welt – ein Dorf. Ein Dorf – die Welt.“ wurden die Handschriften von 39 ausgewählten Prösitz-Stipendiatinnen gezeigt, darunter Anna Arnskötter, Berlin, Heinke Binder,  Leipzig, Alicia Fuster, Lissabon, Eva von der Stein, Aachen und Anna Tyczynska, Polen, um nur einige zu nennen. Begleitet wurde das Projekt, über das ein sehr informativer Ausstellungskatalog entstanden ist, von der Kunstwissenschaftlerin und Kuratorin  Christine D. Hölzig sowie einer wissenschaftlichen Studie über das Frauenprojekt des Künstlerinnengutes „Bildhauerinnen als Mütter – Mütter als Bildhauerinnen“.  Die Leiterin der spannenden Studie, Prof. Dr. Birgit Bütow von der Fachhochschule Jena, belegt darin prononciert die schwierige Situation von Bildhauerinnen  und den Spagat, den sie turnen müssen, um mit Kind ihre Kunst im anscheinend geschlechtsneutralen Kunstmarkt zu platzieren.

Ihrem Credo getreu: Jedes Jahr soll es ein Stück weitergehen, will Ute Hartwig-Schulz jetzt eine neue Projektidee realisieren: Als Nutzerinnen des  mit Hilfe des EU-Programmes „Leader+“ in 2005 fertig gestellten zweiten Seitenflügels könnten Absolventinnen von Kunsthochschulen, junge Mütter, versteht sich, u.a. die neuen Werkstätten und Künstlerinnenwohnungen in Prösitz als Experimentierstätte für ihren Weg in die Praxis nutzen. „Absolventinnenförderung an sächsischen Künstlerhäusern“ soll sich das neue Förderprogramm von jungen Künstlerinnen mit Kind nennen, für das sie sich stärkere Unterstützung und mehr Kampfgeist von den Kolleginnen des Ver.di-Fachbereichs 8 Medien, Kunst und Industrie Südost, Fachgruppe Bildende Kunst beim Ausfeilen ihres Konzepts sowie ihrem Vorhaben, Stipendien einzuwerben, erhofft hätte. Fachgruppenvorsitzende Marie-Luise Kühn, die das Projekt über einen gewissen Zeitraum begleitet hat und achtungsvoll vom Kampfgeist der Ute Hartwig-Schulz spricht, sagt zu diesem Zeitpunkt: „Mehr können wir als Interessenvertreter freiberuflicher Künstler nicht tun. Ein Projektförderung  ist nicht Sache der Gewerkschaft.“

Wer den Dickschädel der 42-jährigen Bildhauerin kennt, dem ist dennoch um einen positiven Ausgang des Vorhabens nicht bange.

 

Noch enden in Prösitz alle Wege, noch halten Autos im Ort nur, wenn sie Kühlwasser brauchen. Noch trägt das letzte Haus der knapp 80-Seelen-Gemeinde bei Leipzig, unweit der A 14, das Schild „Unbefugten Zutritt verboten“, und kein Wanderer würde auf die Idee kommen, ohne triftigen Grund Prösitz zu besuchen. In zehn Minuten ist das Dorf durchschritten, wäre da nicht das „Echo von Prösitz“, eine Ziegelarbeit mit Echoeffekt der Aachener Künstlerin Eva von der Stein. Es gibt dem Dorf zurück,  was es schon verloren glaubte – seine Mitte.

Das Dorf Prösitz ist im vergangenen Jahrzehnt anders, selbstbewusster geworden als andere Dörfer, seit sich die wechselnde Künstlerinnenschar angesiedelt hat. Denn Schweine gibt`s viele auf dem Lande, aber wer hat schon Borstenvieh aus gebranntem Ton?  

Text: Jutta Donat

Bewerbungsschluss für Stipendiatinnen 2006: 30. November 2005

Weitere Infos über: kuenstlergut-proesitz.de oder Tel.: 034385/51315 Linkhinweis: saechsische-kuenstlerhaeuser.de

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